Frustriert im Job

Bei beruflichen Neuorientierungen ist "Gehen oder Bleiben" oft eine zentrale Frage. Mehr dazu: Laufbahncoaching und Standortbestimmung.

Gehen in Krisen: Lösung oder Flucht?

 

Sie sind frustriert an ihrer aktuellen Arbeitsstelle. Naheliegend scheint, etwas Neues zu suchen. Doch eine Stimme in Ihnen fragt: "Weichst Du nicht etwas aus?" - "Hast Du wirklich alle Möglichkeiten ausgeschöpft, damit es Dir beim alten Job besser geht?" -  *Wer sagt Dir, dass sich der nächste Job nicht als alter Wein in neuen Schläuchen herausstellt?" Nun gibt es durchaus Krisen, in denen das einzig Richtige ist, zu gehen, ganz im Sinne "Wenn Du merkst, dass Du ein totes Pferd reitest, steig ab!”,  aber ob das Pferd tot ist, ist nicht in allen Fällen klar. Wie können Sie in solchen Krisen den für Sie passenden Weg finden? 

Zur Einstimmung fünf konkrete Situationen aus meiner Coaching-Praxis:

  • A.B., Übersetzerin, 33-jährig, seit wenigen Monaten in einem neuen Job in der Verwaltung, sieht bei ihren Vorgesetzten schwere Führungsmängel, leidet unter unklaren Zuständigkeiten, fühlt sich stark unter Druck und trägt sich bereits wieder mit dem Gedanken, zu gehen und etwas Besseres zu suchen. Doch Sie hat Ihren Job in den letzten Jahren wiederholt gewechselt, sobald es schwierig wurde.
  • F. G., Betriebswirtschafterin, 37-jährig, ist nach einem Job als  Beraterin in der Kommunikationsabteilung eines Grosskonzerns unerwartet schnell in eine erste Führungsposition reingerutscht. Sie macht seit Monaten massiv Überzeit, hat kaum noch Zeit für ein Leben neben der Arbeit und zweifelt, ob sie ihrer Aufgabe langfristig gewachsen ist. Sie fragt sich, ob sie sich nicht wieder einen Job  als Sachbearbeiterin suchen soll.
  • B. K., Spezialärztin an einer grossen Universitätsklinik, 38-jährig, macht zwar den Job, den sie sich immer gewünscht hat, befürchtet aber, dass sie als Mensch mit ihren Bedürfnissen im aktuellen Bereich, den sie als Haifischbecken empfindet, längerfristig zu stark leidet. Eine Tätigkeit in einer anderen Spezialisierung mit für sie lebbareren Rahmenbedingungen würde die Tochter aus einer sehr leistungsorientierten Akademikerfamilie aber als Verrat an Ihrem Traumjob und als Abstieg und Flucht erleben.
  • P. Z., Sozialpädagoge, 48-jährig, Abteilungsleiter im Job-Sharing in einem Heim für Behinderte, fühlt sich in seinem Job seit langem unwohl und möchte mit Freunden ein Kurs- und Meditationszentrum aufbauen. Beiläufig erwähnt er im Coaching-Erstgespräch, dass  er sich manchmal auch die Frage stelle, ob es nicht eine Flucht sei.
  • Für O. R., Banker, 49-jährig, mittleres Kader, haben sich die Rahmenbedingungen in den letzten Jahren so verschlechtert, dass er immer weniger Zeit findet, sich seiner eigentlichen Aufgabe, der Kundenbetreuung und Mitarbeiterunterstützung zu widmen. Er hätte auch viele konkrete Ideen, die er in seinem Leben noch realisieren möchte, seine Kinder sind mittlerweile berufstätig und seine Frau wäre offen für Veränderungen. Was ihn aber zurückhält, sind seine Mitarbeiter und seine Kunden.

Kontrapunktische Strategie

Könnte Gehen oder Bleiben in schwierigen Situationen ein Muster sein? Wer immer dann geht, wenn es schwierig wird, sollte sich deshalb die Frage stellen, ob es für seine Entwicklung  nicht förderlicher sein könnte, wenn er lernt, mit den Schwierigkeiten einen anderen Umgang zu finden. Für jemanden aber, der die Tendenz hat, nicht loslassen zu können oder aus Pflichtgefühl allzulange in unerträglichen Situationen zu verharren, könnte es förderlicher sein, Altes loszulassen, zu gehen und neu zu beginnen. Wie so oft im Leben liegt die Entwicklung in einer Musterunterbrechung. Das ist eine kontrapunktische Art, mit sich umzugehen: Wenn der automatische Impuls ist, abzuhauen, ist allenfalls Bleiben angezeigt. Wenn der automatische Impuls ist, zu verharren, steht vielleicht gerade Gehen an. Bei A.B. (erstes Beispiel) war schnell klar, dass es für sie – erst mal - wichtig war, zu bleiben, aber in einer klareren Art und Weise Stellung zu beziehen, für die eigenen Bedürfnisse und Grenzen einzustehen und sich nicht für alles und jedes verantwortlich zu fühlen. Mit der Zeit erlebte sie, dass das für sie ungewohnte, gewagte und zum Teil grenzwertige neue Verhaltensrepertoire, das sie im Coaching Schritt für Schritt einübte, nicht in der befürchteten Katastrophe endete, sondern wider Erwarten gut funktionierte: Von ihrem Chef und ihren Kollegen erntete Sie nicht Kritik, sondern sogar Lob.

Wir lernen an unseren Grenzen

Der erste Entwurf der von F.G. (zweites Beispiel) im Coaching vorgeschlagenen Zielformulierung lautete: „Entweder fühle ich mich meiner jetzigen Stelle gewachsen oder ich entwickle einen Plan B“.  Bei näherer Betrachtung fühlte sich das aber als schwächend an.  Die definitive Version lautete deshalb „In meiner Rolle als Chefin steuere ich aktiv: Ich nehme meine Handlungsspielräume aktiv wahr, setze mich, wo dies sinnvoll ist, für deren Erweiterung ein und agiere, statt bloss zu reagieren." Und: "Ich weiss, ob ich mich beruflich am richtigen Ort fühle, andernfalls habe ich einen Plan B. ".  Die Idee dahinter: Sie geht in ihre Kraft und tut alles in ihrer Macht stehende, dass sich die Dinge in eine Richtung bewegen, hinter der sie stehen kann und dass auch die Rahmenbedingungen für sie stimmen. Falls dies nicht zum Erfolg führt, geht sie, weil sie nicht mehr bereit ist, dies zu akzeptieren und sucht etwas für Sie Passenderes. Es ist für die eigene Psychohygiene besser, sich nicht von ungeprüften Vorannahmen und Hypothesen („ Da kann man ja sowieso nichts machen." -  „Ich habe eh keine Chance.“ etc.) leiten zu lassen, sondern mutig Grenzen auszuloten. Es ist eine altbekannte Tatsache, dass wir an unseren Grenzen lernen. Selbst wenn dies nicht zum Erfolg führt, ist es besser, als es gar nicht versucht zu haben. Sonst bleibt im Hinterkopf die quälende Frage: „Was wäre, wenn ich es versucht hätte?“  Im  Kontakt mit der Grenze kann aber auch klar werden, dass ich es so nicht mehr will, und zwar nicht, weil ich es nicht kann, sondern weil es für mich so nicht mehr stimmt. Es war schlussendlich diese letzte Variante, die sich bei meiner Klientin herauskristallisierte: Sie hatte schlussendlich ihre Kündigung eingereicht, aber aus einer Position der Stärke.

Gefangen in Vorstellungen

Die Frage, ob Gehen eine Flucht oder die Lösung ist, kann auch von Wertungen abhängen. Denn es sind bekanntlich nicht die Tatsachen, die uns beunruhigen, sondern die Meinungen, die wir uns über die Dinge machen (Plato). Oft sind wir auch in einem "entweder-oder" gefangen. Die Wirklichkeit ist aber meist komplexer. Es gibt selten nur zwei Lösungen.  B.K. (drittes Beispiel) war im Bild gefangen, dass nur die aktuelle Spezialisierung für sie auf der beruflichen Ebene eine Befriedigung bringen kann. Es zeigte sich dann aber in den Coaching-Gesprächen, dass es andere Möglichkeiten gab, in einem angrenzenden Bereich auch eine erfüllende Tätigkeit zu finden. Es genügte, die ganze Sache aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten. Was sich auf den ersten Blick wie eine Flucht anfühlte, entpuppte sich schlussendlich als attraktive Lösung, die es ihr erlaubte, sich auch ein Privatleben zu gönnen (sie hat seit über zehn Jahren keine Liebesbeziehung, weil dazu schlicht kein Platz war).  Viel schneller als erwartet fand sie dann eine gute andere Stelle in einem neuen Bereich mit Konditionen, die ihr zusagten.

Richtig verstandene Aggression

Eine weitere wichtige Frage ist: Was stärkt, respektive, was schwächt mich mehr? Zu gehen oder das Bisherige aus einer anderen Haltung heraus anders anzupacken? P.Z. (viertes Beispiel) wich in der Führung Auseinandersetzungen aus einer diffusen Mischung von Angst und fehlender Selbstsicherheit allzugern aus. Einfach den Job zu verlassen, hätte für ihn ein Eingeständnis seines Ungenügens, seiner Schwäche bedeutet. Schnell drehten sich die Coaching-Gespräche deshalb um Führungsfragen: Dass er in seiner Führungsrolle mehr in seine Kraft geht, Konflikte mutig angeht und das tat, was er für notwendig und richtig hielt und gleichzeitig aufhörte, es immer allen recht machen zu wollen. Es ging für ihn um eine gesunde Aggression im Sinne der Ursprungsbedeutung des Wortes im Lateinischen: „Ad“ - „gredi“ bedeutet an eine Sache oder Menschen herantreten oder eine Sache anpacken. Die Urbedeutung ist dabei wertfrei: Jedes zielgerichtete Herangehen kann deshalb als aggressiv bezeichnet werden. Das hatte zur Folge, dass P.Z. begann, sich gegenüber seiner Ko-Leiterin stärker zu positionieren und sich nicht scheute, auch unpopuläre Entscheide zu treffen und dafür Widerstände in Kauf zu nehmen. Schon nach wenigen Sitzungen war das Weggehen kein Thema mehr.

Wenn Du auf einem toten Pferd sitzt, dann steig ab.

O.R. (letztes Beispiel) half es, seine Situation quasi aus einer Vogelperspektive zu betrachten.  In den Coaching-Gesprächen wurde im bald klar, dass er „ein totes Pferd reitet“, dass er an etwas Gewohnten festhält, obwohl er im Grunde sehr genau spürt, dass es für ihn nicht mehr passt und ihn bloss unzufrieden macht. Seine Skrupel zu gehen hingen auch mit dem Wunsch zusammen, es den andern recht zu machen. Ihm wurde klar, dass er, wenn er weiterhin nach dieser Maxime lebt, schlussendlich selber vertrocknet und immer unzufriedener, energieloser und griesgrämiger wird. Zentral dabei war, den Schritt neu zu bewerten, nämlich nicht als Flucht vor seiner Verantwortung, sondern als Zurücklassen eines toten Pferdes und als Entscheid für sich und seine Zukunft. So entschied er sich schlussendlich, ohne neue Stelle zu kündigen.

Das Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht.

Manchmal gilt es auch, die Spannung „Flucht oder Lösung“ überhaupt erstmal eine Weile auszuhalten. Klarheit braucht oft ihre Zeit, bis sie reif ist, wie ein Gericht, das genügend lang kochen muss, bis es schmackhaft ist. Da gilt es, sich nicht von der eigenen Ungeduld allzuschnell in eine altbekannte Richtung drängen zu lassen.

Lösen Sie sich aber auch von der Vorstellung, es gebe den „richtigen Entscheid“ oder den «richtigen Zeitpunkt». - „ An irgendeinem Punkt muss man den Sprung ins Ungewisse wagen. Erstens, weil selbst die richtige Entscheidung falsch ist, wenn sie zu spät erfolgt. Zweitens, weil es in den meisten Fällen so etwas wie eine Gewissheit gar nicht gibt" (Lee Iacocca, Manager). Ein Entscheid ist nicht ein Entscheid für die Ewigkeit, sondern er soll in einer bestimmten Situation, mit bestimmten Rahmenbedingungen aufgrund einer persönlichen Situation in einem bestimmten Zeitpunkt stimmig sein, mehr nicht. Das entlastet.

 

Weiterführende Informationen: